Wir steigen in dem hübschen Bahnhofe aus und wandern durch die Stadt, dem "Löwen" oder
dem "Schiffe" zu, wo wir gegen gutes Geld gut aufgehoben sind. Beides sind treffliche Gasthöfen
mit allen komfortablen Einrichtungen großer städtischer Hotels.
Es gibt nicht leicht eine Stadt, die für Fremde und Besucher von Naturschönheiten günstiger gelegen wäre
als Neustadt, mitten drinnen in der herrlichen Haardt, am Ende und Rand der fruchtreichen Rheinebene, am
Eingange in das Haardtgebirge mit seinen wildromantischen Tälern, die sich von hieraus am leichtesten
besuchen lassen.
[...]
Neustadts Lage selbst ist vorzüglich schön und die grünen Weinberge, das tiefe Tal, die nahen Burgen,
die waldigen Berge und die schönen Landsitze geben der Gegend eine reizende Mannigfaltigkeit, in der
Romantik und Idylle, Geschichte und Gegenwart in uns einen angenehmen Wechsel der Stimmungen erwecken.
Das Innere der Stadt ist dagegen freilich minder schön, die engen, unebenen Straßen bieten auch nicht
einmal viel architektonisches Interesse und der merkwürdigen Gebäude sind ziemlich wenige, aber die
Straßen sind belebt und man bemerkt bald eine ungemeine Rührigkeit in der winkligen, ja finsteren
Stadt, die ihrem Namen "Neustadt" nicht entspricht.
[...]
Ja, wenn irgendwo, so konzentriert sich in Neustadt an der Haardt pfälzisches Wesen. Wenn nun der Pfälzer
das Prototyp für die westdeutschen und rheinischen Bevölkerungen, der Haardtbewohner wieder für die
Pfälzer selbst und der Neustadter für die Leute an der Haardt liefert, so potenziert und konzentriert
sich im Neustadter eine Lebhaftigkeit des Charakters, der dem übrigen Deutschland völlig fremd ist.
Das drückt sich schon in seiner Weise zu reden aus und nirgends sind so viele drastische Redefiguren im
Schwung als in der Pfalz und vor allem in Neustadt. Dabei nimmt er es mit Flüchen und Beteuerungen
nicht so genau und "krieg' die Krenk!" und "der Teufel soll mich holen" fährt bei
jedem Satze ohne Anlaß heraus. Gar häufig ist ein freudiges: "Jetzt soll dich das Dunnerwetter -
bist du da!" der freundlichste Gruß beim Zusammentreffen von Bekannten, die sich Jahre lang
nicht gesehen. Eine derbe, aber immerhin noch gutmütige Ungeniertheit, ein Hand zur Satyre und zum
"Utz" ist ziemlich allgemein. Besonders aber wird den Fremden die Masse von ironisch gemeinten
Sätzen und Ausdrücken im ganz gewöhnlichen Leben überraschen, wo der Pfälzer stets gerade das
Gegenteil von dem sagen will, was er dem Wortlaut nach sagt, was in der Betonung der Wörter liegt. Das
"Ei jo!" will dann "Ei nein!" heißen. Solcher ironisch gemeinte Sätze mischt
der Pfälzer so viele in seine - ohnehin drastische Wendungen und Kürzen liebende, an Wort- und
Satzbildern, an Sprichwörtern und Redefiguren reiche Sprache, daß es Fremden gegenüber nicht selten
zu Mißverständnissen kommt.
Der Pfälzer und als sein Repräsentant der Neustadter hat immer eine große Meinung von seiner eigenen
Person und eigenen Weisheit und so wie er's tut und denkt, ists sicherlich am besten getan und gedacht.
Die Schwaben und Bayern hält er für gleich gescheit, d. h. er hält wenig auf den Verstand der Überrheiner
und lacht sie gerne aus, aber er utzt auch den gutmütigen, stillen Westricher und singt ihm spöttisch
seinen Dialekt nach und der Oberländer erreicht in seiner Meinung auch noch lange die Bildungshöhe
nicht, auf der er selbst steht. Es wohnt wirklich viel praktische Weisheit in der Pfalz, vor anderm an
der Haardt und sicherlich in Neustadt ein ganz besonderer Teil, aber die Neustadter glauben doch
alle Weisheit allein gepachtet zu haben und jeder für sich meint, er hätte den besten Teil davon.
"Es gibt viele gescheite Pfälzer, in Neustadt sind sie alle gescheit und ich bin doch eigentlich
der gescheiteste!"
[...]
Der Pfälzer glaubt steif und fest, daß er das reinste Deutsch spreche und der Pfälzer Bauer sagt um
dies zu beweisen, daß er die Schwaben nicht verstehe, aber von ihnen verstanden werde; die Schwaben
sollen nämlich sagen: "so (pfälzisch) red't der Pfarrer uff de Kanzel!" Freilich macht der
Pfälzer auf seinen Stolz selbst Satyren, indem er erzählt, daß die "pfälzisch Sprooch" die
"Ursprooch" sei, denn als der Walfisch den Propheten ans Land spie, gingen zwei pfälzische
Matrosen vorbei, wovon der eine sagte: "Der isch awer naß!" "Der isch jo naß!"
versetzte der andere und davon behielt der Prophet den Namen Jonas. - Daß die Pfalz das ursprüngliche
Paradies war, geht schon aus diesem Beispiel hervor, noch mehr aber daraus, daß der Teufel den Herrn
Christus aufs Hambacher Schloß führte und ihm die Herrlichkeit des Landes zeigte; als er es ihm anbot,
wenn er ihn anbetete, sagte der Herr "B'halt's!", d. i. Behalt es! und seitdem heißt's Pfalz
oder wie die Pfälzer sagen "Palz"!
[...]
Unter den wenigen hervorragenden Gebäuden ist die Stiftskirche das sehenswerteste. Sie soll schon im
zehnten Jahrhundert begonnen, aber erst viele Jahrhunderte nachher vollendet worden sein. Die beiden
ungleichen Türme wurden vom Pfalzgrafen Johann Kasimir Ende des 16. Jahrhunderts erbaut. Dieser
selbst in seiner Zusammensetzung noch immerhin hübsche gotische Bau ist durch eine steinerne Wand im
Innern für Katholiken und Protestanten geschieden. Die Vorhalle oder das Paradies zeigt noch kenntliche
Fresken. Die Grabmäler einiger Pfalzgrafen und Pfalzgräfinnen und das des in Oppenheim gestorbenen
Kaisers Ruprecht befinden sich hier. Letzteres wurde im französischen Revolutionskriege beschädigt,
wie denn auch die 99 Zentner schwere Glocke der Kirche damals geraubt wurde.
Das Rathaus am Marktplatze biete heute nur wenig Interesse. Früher enthielt es in seinem großen Saale
die Porträts der Kurfürsten von der Pfalz und das der schönen Kunigunde Kirchner, der holdseligen und
edlen Tochter des kurpfälzische Kanzlers in Neustadt.
Als nämlich in dem entsetzlichen Mordbrennerkriege der Franzosen in der Pfalz der Marschall d'Huxelles
nach tapferer Gegenwehr der Bürger die Stadt erobert hatte, die Mauern niederreißen ließ und den
Befehl gegeben hatte, die Stadt gleich allen andern in der Pfalz niederzubrennen, da ward Neustadt durch
den Patriotismus jenes Mädchen gerettet. Der französische Kriegskommissär de Werth liebte dasselbe,
aber sie machte die Erhaltung ihrer Vaterstadt zur Bedingung ihrer Hand, worauf de Werth die Schonung
Neustadts bei den französischen Generalen bewirkte und in beglückter Ehe Kinder zeugte, deren letzte
Nachkommen noch kurz vor der Revolution lebten. De Werth war Prätor von Landau.
Im Kasimirianum, einem altfränkischer Bau aus der Renaissancezeit,
befindet sich heute die lateinische Schule.
[...]
Ein schlimmeres Unglück ruft uns der Marktplatz selbst ins Gedächtnis
zurück. Es war Anno 1525 im Sommer, als die aufgestandenen Bauern der oberen Haardt alle Schlösser in
Asche legend auch das Hambacher Schloß oder die Kästenburg erstiegen und
dann sich auf den Viehberg vor Neustadt legten, sowie nach Winzingen und in die Haardt. Die alte Wolfsburg
hinter Neustadt im Tal und Burg Winzingen wurden gestürmt und nun
erschracken die Neustadter, öffneten die Tore und schwuren samt dem pfälzischen Vogt dem Kurfürsten
den Eid ab und den Bauern zu, deren Hauptleute in der Stadt ihr Feldlager aufschlugen. Darum zog auch
der Kurfürst Ludwig der Friedfertige nach der schrecklichen Niederlage der Bauern bei Pfeddersheim
zürnend vor Neustadt und lag hier zwei Tage still. Alle Freiheiten der Stadt wurden ihr genommen, ihre
Waffen geraubt und sie selbst mit 4000 Goldgulden gebüßt. Auf dem offnen Markt aber stand des
Kurfürsten Scharfrichter und schlug acht Bürgern die Köpfe ab, sowie mehreren Rädelsführern aus den
umliegenden Dörfern.
Auch im 30jährigen Krieg litt die Stadt entsetzlich und die Hungersnot in
dieser herrlichen Gegend war so groß, daß Wachen auf dem Kirchhofe ausgestellt werden mußten, damit
die Leichen nicht ausgegraben würden.
[...]
Im französischen Revolutionskriege wütete hier der kleine Robespierre
Rougemaitre, der die Einwohner zwang, selbst ihr Vieh nach Landau zu treiben und auf ihr Flehen
antwortete: "Wenn eure Weiber und Töchter einmal mit unsern Nationalgarden bekannt sein werden,
werden sie euch schon Milch geben!"
In neuester Zeit rumorte es in Neustadt, besonders in den dreißiger und vierziger Jahren. Im Jahre 32
war hier ein gar bewegtes Leben, als besonders von Neustadt aus das große Hambacherfest
geleitet wurde. Wirth und Siebenpfeiffer, die
Helden jener Tage, Lohbauer und Hochdörfer, ja sogar Börne und der Friese Harro Harring, der die
Freiheitsliedlein ins Land hinaus fliegen ließ, welche noch lange nachher in der Pfalz gesungen wurden,
- weilten damals hier und mit ihnen eine ungeheuere Menschenzahl, die zum erstenmale wieder die
deutschen Farben trug.
Ein eben so bewegtes Leben brachte das Jahr 1848 und 1849, wo ja Neustadt das Hauptquartier der
pfälzischen Revolutionsheeres war. - Seitdem ist Ruhe im Lande und leider büßen viele Pfälzer noch
heute in der Verbannung und im Kerker.
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